Warum Musikproduktionen auch mal Geld kosten müssen

Von: Marc Weissenberger


Nach nun mehr 10 Jahren Local Heroes Radio und ja, zig tausend Tracks, die ich mir angehört habe, meinem Engagement für Homerecording, Selbstvermarktung etc. muss ich hier allerdings mit ein paar Meinungen aufräumen, die immer wieder zu mir durchsickern und die ich nicht ohne Weiteres unterschreiben kann.

Um es gleich voraus zu schicken, Homerecording ist gut und wichtig. Es ist DIE Grundlage für jedwedes Musikprodukt. Hier kann schon sehr viel komponiert, experimentiert und arrangiert werden. Und ja, gerade im Bereich der elektronischen Musik habe ich Produktionen gehört, die zuhause am PC erstellt wurden und die absolut amtlich und top produziert waren.

Doch nun zu einigen Aussagen, die ich immer wieder zu hören bekomme:

  1. Für meine Band brauche ich kein Tonstudio, das kann ich alles zuhause machen!                                                                                             Stimmt, für meinen Küchentisch brauche ich auch keinen Schreiner, das kann ich auch selbst machen, die Frage ist nur, wie der Tisch dann aussieht. Ich habe unter all den tausenden von Einsendungen gerade einmal 10 Homerecording-Produktionen von "rocklastiger Musik" gehört, die einen amtlichen Sound an den Start gebracht haben. Namentlich das erste Splitter-Album, welches tatsächlich im Proberaum mit Logic aufgezeichnet und gemischt wurde. Der ganze Rest an Produktionen verschafft mir natürlich einen ausgezeichneten Eindruck, wohin die musikalische Reise gehen soll und wie es klingen kann, das ist auch gut so, denn ich würde sie unter dem Sammelbegriff gutes "DEMO" verbuchen. Weil aber mittlerweile viele Bands CDs und Tracks auf diesem "gutes Demo-Niveau" veröffentlichen, scheinen sich viele Künstler auch an diesem Niveau zu orientieren. Das ist meiner Meinung nach tödlich, man sollte sich immer an den Besten orientieren und nicht am Durchschnitt. Und die Besten veröffentlichen keine Homerecording Tracks!
  2. Ich bin eine Ein-Mann-Armee, ich kann das alles! Gut gebrüllt Löwe! Die Zahl der Menschen, die gute Musiker, Toningenieure und Produzenten in einem sind, tendiert in den Promille-Bereich! Die besten Alben unserer Zeit wurden immer von einem Team aus den drei genannten Positionen gemacht. "Bad" von Michael Jackson hatte einen Bruce Swedien hinterm Pult, einen Quincy Jones als Producer und einen Michael Jackson hinterm Mikro. Diese drei Menschen waren / sind jeweils Meister ihres Faches und sie befruchteten sich gegenseitig. Diese Konstellation schliesst nämlich einen entscheidenden Faktor aus: Betriebsblindheit! Egal, in welchen Produktionen ich involviert war, ich habe jedes Mal vom Toningenieur, Producer oder Musiker neue Inputs bekommen, musste meine eigenen Überzeugungen überdenken und meine Ideen verteidigen oder adaptieren. Ich kann nur empfehlen, sich sämtliche Dokus im Netz über die Entstehung diverser Alben von Bands anzusehen. Denn dort sieht man, wie der Toningenieur mit dem Producer, der Producer mit dem Musiker oder alle miteinander teilweise um einen einzigen Takt ringen. DAS ist der entscheidende Punkt, der einen Rohdiamanten vom Feinschliff unterscheidet, die Reibung, das konzertierte Wissen, der Dialog!
  3. Das krieg ich genauso hin wie.... Ähm...nein! Wer sich lobenswerterweise an den Besten orientiert, der sollte sich auch mit deren Arbeitsweise auseinandersetzen. Ich habe vor einiger Zeit einen Artikel über neue Gothik-Musik geschrieben, in dem ich auf die mangelnde Innovation und den schlechten Sound hinwies, der so oft zu hören ist. Wenn ich mich schon an Sisters Of Mercy orientiere, dann sollte ich verdammt noch mal wissen, warum sie so geklungen haben, wie sie es taten. Ein Chor-Preset klingt eben nicht, wie ein live eingesungener Chor, basta! Die Dynamik eines Amps mit fetter Box lässt sich nicht einfach durch eine Gitarrensimulation ersetzen. Und "This Corrosion" ist in seiner Endversion das Ergebnis des Trios Steinmann (Producer) / Eldrich (Musiker) / Alexander (Toningenieur) und eines Budgets von 50.000 Pfund  der Plattenfirma WarnerMusic. Das kriegst Du also genau so hin? GET REAL!!!
  4. Die Kohle kann ich mir sparen Im Laufe der Zeit konnte ich eines mit Sicherheit feststellen. Bands, die mit Demos angefangen haben und sich nicht darum bemüht haben, mit diesen Demos Investoren für eine amtliche Aufnahme zu generieren, haben es in den allerseltensten Fällen geschafft, eine amtliche Aufnahme auf den Markt zu bringen, die konkurrenzfähig ist. Auch hier rede ich wieder von rocklastiger Musik. Es gibt einen Höllen-Unterschied zwischen den Demos von Fugitive Dancer und dem Debüt-Album, welches mit Hilfe eines Sponsors im Tonstudio produziert wurde. Selbst im elektronischen Bereich merkt man, welch immensen Einfluss ein guter Mastering-Engineer auf das Produkt haben kann. Hier kann ich Andreikelos nennen, der sich vieler Produktionen von Equinox-Records angenommen hat und diese auf ein hohes Niveau gehoben hat. Und die Aussage, "die Kohle kann ich mir sparen" ist eine Milchmädchen-Rechnung! Selbst wenn man alleine, zuhause vor dem PC sitzt, Stunden, Wochen, Monate, dann kostet das Geld! Denn Zeit ist Geld! Ich habe einmal einem Musiker vorgerechnet, was sein Album eigentlich gekostet hat, wenn er nur einen Stundenlohn von 10 Euro veranschlagt. Er hatte ein Jahr daran in seiner Freizeit gearbeitet und er kam auf einen fünfstelligen Betrag. Ein fünfstelliger Betrag, für ein Ergebnis, das in einer suboptimalen Recording-Umgebung, mit relativ bescheidenen Mitteln erstellt wurde. Das selbe Geld hätte er ohne Weiteres in eine amtliche Produktion im Tonstudio mit optimalen Bedingungen stecken können. Denn für ein Demo braucht man nicht viel, einen PC, ein paar günstige Mikros, ne günstige Software und etwas an technischer Umgebung und Wissen. Lassen wir es mal 2000 Euro sein. Jeder weitere Schritt zur "Verbesserung" kostet wieder Geld. Der Mikrofon-Vorverstärker, das bessere Mikro, eine bessere Abhöre, das Dämmen des Aufnahmeraumes, dieses Plug-In hier, jenes Gerät hier. Rechnet man das einmal zusammen, dann kann man sich bis zum Erscheinen des Albums die Augen ausheulen, wenn man sich die Gewinn-Verlustrechnung anschaut. Und rechnet man noch die Zeit dazu, die man braucht, um sich in dieses oder jenes einzulesen, Fehler zu korrigieren, die auftreten, weil man eben kein Toningenieur ist, nicht über jahrelange Erfahrung verfügt etc. dann wird es oft sehr bitter.

Alles in allem lässt sich diese Thematik immer auf eine Frage runterbrechen, die ich überzeugten Homerecordlern stelle, die für sich den Anspruch haben, auf einer Ebene mit Tonstudios, Produzenten und Künstlern zu sein, die bereits im Business etabliert sind:

"Ich gebe Dir die Möglichkeit, Dein Album im XY-Studio zu produzieren oder das Geld, es zu Hause zu machen, wie entscheidest Du Dich?"

Komisch, keiner hat bisher das Geld gewollt!