Under Skin (Ochtmersleben): „Musik muss Gesellschaft reflektieren“
Mit „authentischer, handgemachter und facettenreicher Rockmusik“ haben sich UNDER SKIN aus Ochtmersleben einen Platz im alternativen local heroes-Landesfinale verdient. Für die fünf Freund*innen bedeutet Musik auch Gesellschaftskritik. Bei den local heroes Intensiv-Coaching-Tagen werden sie nun in Sachen Performance gecoacht und nehmen ein Live-Musikvideo auf. Schaffen sie damit den Sprung ins Bundesfinale des Newcomer-Contests?
Ihr habt es mit eurer Band UNDER SKIN in das Landesfinale von local heroes geschafft. Was hat euch dazu bewegt an dem Contest teilzunehmen und habt ihr mit dem Erfolg gerechnet?
Julius: Wir haben ja schon bei mehreren Contests teilgenommen und gute Erfahrungen gemacht. Das ist immer eine gute Möglichkeit unsere Musik unters Volk zu bringen. Das Format ist echt cool, ich hätte nicht damit gerechnet, dass es so entspannt abläuft. Dass wir uns gegenseitig etwas vor Publikum vorspielen, geht ja leider nicht. Aber es ist trotzdem cool, zumindest vor Menschen spielen zu können, die sich einen ganzen Tag lang mit uns auseinandersetzen.
Moritz: Und natürlich auch, mit anderen Musikern zu netzwerken. Die Idee, bei local heroes mitzumachen, verfolgen wir schon länger, aber bisher hat es nicht geklappt. Wir haben nicht unbedingt damit gerechnet, in diesem Jahr ausgewählt zu werden, Dass wir jetzt dabei sein dürfen, freut uns natürlich sehr.
Auf eurem Instagram-Kanal habt ihr ein altes Foto mit zwei Bandmitgliedern und der Unterschrift: „Es hat einfach gut gepasst, von Anfang an.“ gepostet. Wie kam es zu diesem Anfang und welche Veränderungen hat es seit der Gründung 2011 gegeben?
Jonas: Wir haben uns im Schoße der evangelischen Kirche in Mitteldeutschland kennengelernt, in einem Bandworkshop. Damals waren wir aber noch in einer etwas anderen Besetzung. Zwei von uns waren noch nicht dabei, Moritz und Pascal. Das Bild ist von 2014, davor hatten wir schon ein paar andere Gitarristen. Mit Moritz haben wir aber erst angefangen, eigene Songs zu schreiben. Pascal ist dazugekommen, nachdem Pauline einen Motorradunfall hatte. Nach ihrer Operation konnte sie leider nicht mehr Bass spielen. Wir kannten Pascal schon länger und er ist einfach ein fantastischer Bassist.
Pauline: Ich muss auch sagen, dass es im Nachhinein ganz gut war, dass ich den Gesang übernommen habe.
Jonas: Wir haben schon vorher wöchentlich geprobt, weil wir damals noch alle in der Börde und sehr nah beieinander gewohnt haben. Wir hatten ein paar kleinere Auftritte, vieles hat sich damals aber noch verändert. Früher haben wir zum Teil mitten in den Gigs die Instrumente getauscht.
Julius: Jonas und ich hatten Bock, beides zu machen, aber es war schon gut, dass wir das inzwischen festgelegt haben. Da kann sich jeder auf seins konzentrieren. Jonas macht seinen Schlagzeugkrams…
Jonas: …und Julius seinen Klavierkrams.
Ihr scheint nicht nur als Musiker*innen viel Zeit miteinander zu verbringen. Welche Vorteile und welche Herausforderungen ergeben sich daraus, Musik mit Freunden zu machen? Wie sieht dabei euer Probenalltag aus?
Moritz: Wenn man sich kennt, kann man auf einer ganz anderen Ebene Musik machen. Die Qualität wird von Jahr zu Jahr, von Gig zu Gig besser. Wir wissen, wie die anderen ticken, auch musikalisch. Wir können gut miteinander kommunizieren und sind eingespielter. Man hält jedoch auch seine Meinung weniger zurück bei den Proben.
Jonas: Man wird in Diskussionen schneller persönlich, weil man nicht hinter so einer professionellen Barriere argumentiert. Das ist aber auch okay. So ist es unter Freunden.
Julius: Unser Probenalltag ist momentan schwierig zu organisieren. Wir studieren alle irgendwo, sind ein bisschen verstreut. Die Band macht es aber einfacher, sich aufzuraffen und häufiger zu treffen als mit anderen Freunden. Uns verbindet das Musikmachen, keiner will das vermissen. Wir unternehmen dann auch viel zusammen als Freunde.
Moritz: Wir haben jetzt nicht mehr wöchentlich unsere Probe für zwei Stunden. Wir haben zum Teil monatliche Abstände, machen dafür aber einen längeren Block über mehrere Tage. Da ist es natürlich hilfreich, wenn man sich gut versteht und kennt.
Woher kommt der rockig-treibende Sound? Gibt es da klar definierte Inspirationen oder lässt jede*r einen Teil mit einfließen?
Jonas: Unsere Einflüsse sind so divers, dass wir keine genauen Einflüsse benennen können. Jeder bringt sich ein. Es gibt keine klar definierte Inspiration, das kommt beim Zusammenspiel. Die Genres, die bei uns einfließen, sind Classic Rock, Blues Rock, Alternative und Progressive Rock.
Was war bisher das größte Highlight von UNDER SKIN und womit kann das noch getoppt werden?
Pauline: Es gibt gar nicht das eine größte Highlight in unserer Geschichte. Es gab sehr viele Highlights. Zum Beispiel den Gig in der Factory im Rahmen des SWM Talentverstärkers. Aber auch ganz viele andere Auftritte, oder unsere Livestream-Erfahrung vor kurzem. Oder die Aufnahme unseres Albums in der Scheune und der Gewinn vom SWM Talentverstärker, mit dem wir unsere EP im Tonstudio aufnehmen konnten.
Jonas: Und unsere Proben sind auch immer eine Vorbereitung auf das nächste Highlight, wenn wir endlich wieder live spielen können. Jeder Gig ist etwas Besonderes und fühlt sich anders an. Wir spielen einmal jährlich bei der Rocknacht in Barleben. Das ist immer dasselbe Setting, aber der Gig war jedes Jahr anders und wir haben auch gemerkt, wie wir uns weiterentwickeln.
Arbeitet ihr auf etwas hin in der Zukunft?
Jonas: Ein neues Album wäre geil. Wir arbeiten ja immer an neuen Songs.
Pauline: Erstmal local heroes rocken und dadurch auch mehr Reichweite generieren. Und vielleicht auch mal auf einem größeren Festival spielen.
Julius: Bisher haben wir auch noch kein Musikvideo gedreht. Aber jetzt schauen wir erstmal in die nähere Zukunft.
Mit euren Texten deckt ihr sehr kontrastreiche Themenfelder ab, wie Krieg und Frieden oder Gelassenheit und Schmerz. Steckt dahinter ein Konzept? Was möchtet ihr mit eurer Musik an die Gesellschaft herantragen?
Moritz: Mit den Texten ist es ähnlich wie mit der Musik. Jeder hat Einfluss darauf und kann Ideen einbringen. Oft hat Jonas die Texte geschrieben oder wir haben zu zweit daran gearbeitet. Wir setzen uns aber nicht zu fünft hin und schreiben einen Text über ein ausgewähltes Thema. Wir wollen in unserer Musik vielfältige Themen abzudecken. Ein Songtext behandelt das, was eine*n von uns in dem Moment beschäftigt. Das kann albern, persönlich oder gesellschaftlich sein. Unsere Themen reichen von Diabetes bis hin zu Anti-Rassismus. Mir ist es wichtig, dass Musik Gesellschaft reflektiert und nicht nur spiegelt. Wichtige Themen müssen angesprochen werden. Den hundertsten Lovesong oder einen sexistischen Song braucht heute niemand mehr, so etwas wurde in den 70er Jahren genug geschrieben. Wichtiger ist es, auf gesellschaftliche Themen Bezug zu nehmen.
Julius: Wir sind keine Gospel-Band, wo jeder Text vom Herren handelt, es gibt also kein festes Konzept hinter unseren Texten. Wie Moritz schon sagt: was uns eben aktuell bewegt. Als es den Krieg zwischen der Ukraine und Russland gab, haben wir einen Song darüber geschrieben. Es kann also gesellschaftlich, aber auch persönlich sein.
Frontfrauen von Rockbands scheinen immer noch eher eine Seltenheit. Pauline, wie nimmst du deine Position in dieser Szene wahr? Spürst du vielleicht auch eine Veränderung?
Pauline: Ich nehme mich selbst in unserer Band gar nicht so krass als Frau in einer männerdominierten Rockszene wahr. Wir machen zusammen Musik und haben Spaß dabei. Dieses Thema steht nicht so sehr im Fokus. Nichtsdestotrotz ist es aber nicht von der Hand zu weisen. Wenn ich ein Konzert Revue passieren lasse, dann stand an einem Abend dort meist nicht mal eine Hand voll Frauen auf der Bühne. Dafür gibt es verschiedene Ursachen, geschichtliche wie auch gesellschaftspolitische und soziale. Frauen werden immer noch sehr oft mit Schwäche assoziiert und viele sind in dieser Gedankenwelt so gefangen, dass sie sich selbst nicht viel zutrauen. Wenn eine Frau doch versucht, sich in dieser Männerwelt zu behaupten, wird sie ganz schnell abgestempelt als aufmerksamkeitssuchend, hysterisch oder unweiblich – was auch immer das bedeuten soll. Ich hoffe, dass bei den Frauen auf den Bühnen dieser Welt, ob in kleinen oder großen Bands, ein Umdenken stattfindet. Es gibt ja auch einen Wandel, der gesamtgesellschaftlich stattfindet. In der Rockszene geht das aber immer noch sehr langsam voran. Ich hoffe, dass wir da unseren Teil beitragen können und als Vorbild dienen für andere Mädchen und Frauen. Wir müssen einfach lernen, einen Scheiß darauf zu geben, was andere über uns denken. Wir sollten das machen können, worauf wir Bock haben.
Im Zuge der Corona-Krise hat sich die Lebenswelt insbesondere für Künstler*innen verändert. Auch ihr habt die Live-Bühne gegen den Stream eingetauscht. Seht ihr in digitalen Konzerten auch für eine pandemielose Zukunft eine Alternative?
Jonas: Unser Livestream-Konzert war sehr interessant. Es ist ein bisschen anders und nicht wirklich mit echten Konzerten zu vergleichen. Es ist eher eine Ergänzung als eine Alternative, um sich musikalisch auszuleben.
Pascal: Es ist einfach ein großer Unterschied, ob man vor einer Kamera spielt oder vor Publikum. Beides hat seinen Reiz. Als wir unseren Livestream in der Scheune aufgenommen haben, war ich entspannter. Es fühlte sich eher wie eine Probe an. Die Performance stand nicht so sehr im Mittelpunkt. Ich fand es gut, dass wir trotzdem auf das Publikum eingehen konnten. Die Zuschauer konnten zum Beispiel kommentieren, was sie gut fanden, und Fragen stellen. Auf unseren bisherigen Live-Konzerten war das nicht die Normalität. Das Publikum kann dadurch auch mehr Lob geben, als es durch Applaus möglich ist, zum Beispiel sagen: „Das Solo war ja mega geil, das inspiriert mich total.“
Moritz: Spannend, dass du da entspannter warst. Ich persönlich war total nervös. Normalerweise bin ich nicht im negativen Sinne nervös. Ich liebe es live zu spielen. Es war für mich komisch, weil es ein ganz anderes Machtgefüge war. Du spielst theoretisch nur für dich, weil ja sonst niemand da ist. Gleichzeitig weißt du, dass dir die ganze Welt zuschauen kann, aber du siehst sie nicht. Es hat sich im Laufe des Konzerts auch gebessert, auch wegen der Interaktion mit dem Publikum durch die Kommentarfunktion. Aber Live ist Live, keine Frage. Ein Stream lässt sich aber auch sehr leicht alleine auf die Beine stellen, im Gegensatz zu einem Konzert oder Festival. Man ist eigenständiger und kann sogar einen Spendenaufruf einstellen. Für die Zuschauer ist es wahrscheinlich weniger attraktiv, als auf ein Konzert zu gehen. Wenn man das aber wirklich professionell aufbereitet, wie einen Fernsehauftritt mit mehreren Kameras, dann hat es ja einen Mehrwehrt, den ein Live-Konzert nicht bieten kann: also Close-Ups, eine gute Lichtstimmung und so weiter.
Jonas: Man ist auch nicht so wetterabhängig (lacht).
Wie nehmt ihr die Musikszene eurer Stadt bzw. generell in Sachsen-Anhalt wahr? Fühlt ihr euch mit anderen Musikschaffenden gut vernetzt und unterstützt?
Jonas: Ich wohne momentan in Bremen und kriege viel mit von Vereinen, Musikern und Musikverliebten, die sich vernetzen, damit die Live-Musik nicht ausstirbt. Hier findet zum Beispiel ein großes Festival statt, das auf zehn Tage gestreckt wird, damit sich die Leute besser verteilen. Es werden immer Mittel und Wege gesucht, um in der aktuellen Situation Musik machen zu können. Die Vereine, Kollektive und Veranstaltungsorte machen es sich zur Aufgabe, die Musiker zu unterstützen. Das finde ich persönlich echt cool. Wie das aktuell in Magdeburg ist, dazu kann ich leider nicht viel sagen.
Julius: Es macht einen riesengroßen Unterschied, ob man aus einer Stadt kommt oder aus einer ländlichen Region. Wir haben viel bei uns in der Börde gespielt und hatten immer wieder die Möglichkeit, an verschiedenen Orten dort zu spielen. In Magdeburg sind wir dagegen nie wirklich reingekommen. In Dresden habe ich dagegen mitbekommen, wie viel einfacher es ist, direkt in der Stadt zu wohnen. Du triffst immer wieder die gleichen Leute, ob Bands, Veranstalter oder Techniker, mit denen du dich vernetzen kannst. Das ist ein ziemlich großer Unterschied.
Moritz: Ich glaube, Magdeburg ist gerade für Rockmusik nicht wirklich geil. Ich will nicht sagen, dass es wenige Musiker oder kein Netzwerk gäbe. Es gibt aber nur wenige Spielstätten, ein paar kleine und dann so etwas Großes wie die Factory, wo professionelle Acts auftreten. Dazwischen gibt es nichts. Das ist schwierig. Ich glaube, da hätte Magdeburg noch weit mehr Potential.
Wünscht ihr euch mehr Unterstützung von der Landespolitik?
Moritz: Auf jeden Fall. Da könnte der Kulturetat gerne ein wenig nach oben geschraubt werden. Magdeburg ist eine kulturelle Stadt, die Szene ist einfach anders. Vielleicht ist die klassische Musik einfach präsenter, es gibt viele Kirchen und Chöre. Dieses Image wird von der Stadt gestärkt wird, auch kulturpolitisch.
Julius: Kultur und Kunst basieren häufig auf Ehrenämtern. Dafür Leute zu finden, ist verständlicherweise nicht einfach, vor allem, wenn es sich um finanziell anspruchsvolle Projekte handelt. Die vergleichsweise kleinen Festivals, wie die Rocknacht, sind dafür sehr geil. Jedes Jahr kamen die Bands dort aus anderen Genres. Vielleicht sollte die Politik eher solche kleineren Open Airs fördern.
Pauline: Die Szenen schwimmen jedoch auch alle in ihrer eigenen Suppe und sind nicht immer offen für neue Sachen. Die Punkszene bleibt da zum Beispiel eher im eigenen Kreis.
Warum solltet ausgerechnet ihr Sachsen-Anhalt im local heroes-Bundesfinale zu vertreten?
Moritz: Wir kommen alle aus Sachsen-Anhalt und finden uns auch immer wieder hier zusammen ein. Außerdem machen wir abwechslungseiche und moderne Musik und versuchen nicht nur einen Stil abzubilden. Wir möchten viele Einflüsse zusammenbringen und etwas Neues kreieren. Neben der musikalischen Vielfalt haben wir Pauline als Fronfrau – nicht nur wegen der Frauenquote –, weibliche Vocals geben der Musik ihren ganz eigenen Charakter. Das ist ein einprägsames Merkmal.
Jonas: Wir legen viel Wert auf Arrangements, also wie wir einen Song aufbauen. Da gibt es Höhepunkte und eine gut verteilte Dynamik, auch mit den Instrumenten. Das alles ist verbunden mit Texten, die von Herzen kommen.
Julius: Wir haben große Lust auf das Bundesfinale! Wir haben bisher viel lokal gespielt, aber wir kennen keine anderen Bands auf Bundesebene. Ich finde es unfassbar spannend, die Dynamik zu sehen, die so ein Aufeinandertreffen vieler Bands auslöst. Man misst sich ein Stück weit, aber wir werden diesen Abend vor allem genießen.
Pauline: Nicht so viel rumlabern: Wir machen einfach gute Musik und Punkt.
Redaktion: Laura Klar & Lina Burghausen
Titelbild: Jens Haase