Rheinland-Pfalz hat mehr zu bieten als guten Wein und gute Küche. Mit „Die weiteren Aussichten“ hat das Bundesland in diesem Jahr ein echtes musikalisches Highlight nach Schloss Hundisburg entsandt. Unter diesem eingängigen Namen trat der Sänger, Songwriter und Gitarrist Patrick Scheuermann mit seiner Liveband an. Das Quartett „infizierte“ alle Beteiligten mit tollen Texten und einer hinreißenden Performance.
Damit machten sie den ausgewählten Kreis von insgesamt elf Acts komplett, die ihre Musik auf Bundesebene von Deutschlands größtem Non Profit-Musikpreis local heroes präsentieren. Den ausgiebigen Dreharbeiten, Aufnahmen und Workshops im September folgt in diesem Jahr erstmals eine glanzvolle Preisverleihung am 23. November in der Viehbörse in Magdeburg. Im Rahmen dieser Gala wird nicht nur der „Beste Newcomer-Act Deutschlands 2024“ gekürt, sondern auch bekanntgegeben, wer in einer der anderen sechs local heroes-Kategorien punkten konnte.
Dieser Band konnte sich niemand entziehen. „Tolle Texte! Tolle Geschichten! Geiler Typ! Er ist so sympathisch. Wir lieben sie!“, lautete das spontane Fazit von local heroes-Juror Pablo Christlein kurz nach dem Live-Auftritt von Frontmann Patrick Scheuermann und „Die weiteren Aussichten“ in der Scheune von Schloss Hundisburg. „Technisch sind sie tiptop! Das ist einfach wunderbar. Genau so weitermachen. Wir sind verliebt.“ Die Jury, der neben Pablo Christlein auch Senta-Sofia Delliponti sowie Martin Hommel angehörten, war sich einig. „Sie sind einfach toll!“
Patrick, Johannes, Tobias und Christian, der für den verhinderten Gitarristen Heiko mitgereist war, dürften diese Einschätzungen sicherlich gefallen haben. Überhaupt brachte dieser Act den wohl frischesten Wind aufs Schloss. Unter dem Motto „Humor ist Trumpf“ sorgten sie während der Drehtage für beste Stimmung. Sie selbst bezeichnen sich als „deutschsprachige Indie-Rock-Band“ aus Mainz und sagen über sich: „So frisch wie der Morgentau auf einer Festivalwiese und musikalisch das gewünschte Kind von Frightened Rabbit und Wir Sind Helden, sind sie gekommen, um dich mal so richtig und ehrlich in den Arm zu nehmen.“
Eine Einladung, die wohl jeder gerne annehmen wird. Denn sie halten sich nicht für eine „Musical-Flashmob-Liebeserklärung mit Heiratsantrag und Feuerwerk“, sondern vielmehr für „das Haarehalten im Gebüsch hinterm Club und ein leises ‚Ich liebe dich‘ in der ersten Bahn.“
Spätestens jetzt wird klar: Wortgewalt ist ihr Metier. Dabei fing alles ganz leise an. „Da ich selbst nicht wirklich eine musikalische Ausbildung genossen habe, hat das ein wenig gedauert, bis ich mit Mitte 20 erste Lieder schreiben und ein bisschen singen konnte“, erinnert sich Frontmann Patrick zurück an das Jahr 2018. Eine lange Zeit habe er nur für sich geschrieben und gesungen. Mitte 2023 sei dann der Bandsound entstanden.
„Die weiteren Aussichten“: Das ist lachen und weinen gleichzeitig
Damals hatte er mit einem Freund gerade seinen ersten Song „Die Makrele, die nicht ganz zufrieden war“ aufgenommen. Ihnen wurde klar: „Das muss so auch auf der Bühne stattfinden.“ Zu Recht, wie sich herausstellte. Ihr Song wurde ein echter Überraschungserfolg. „So als komplett unabhängige Band, ohne professionelle Strukturen einen Song zu veröffentlichen, den die Leute dann auf den eigenen Konzerten mitsingen, ist schon krass“, freut sich Patrick noch heute über die Resonanz, die sie letztlich auch auf die Bühne des renommierten Open Ohr Festivals brachte.
Ohne Herausforderungen geht so ein „Bandleben“ natürlich nicht vonstatten, gesteht Patrick. „In letzter Zeit ist es vor allem die Organisation, da vieles noch über mich als Einzelperson läuft und wir uns sehr schwertun, die Sachen vernünftig aufzuteilen. Vor allem wenn so viele tolle Dinge gleichzeitig passieren, wie das local heroes-Bundesfinale“, sagt er. Auch auf künstlerischer Ebene spüre er Zugzwänge. Es sei gar nicht so einfach, mit dem Produzieren hinterher zu kommen. „Wir spielen 90 Minuten Sets mit eigenen Songs und haben erst fünf veröffentlicht. Da geloben wir, das Tempo nächstes Jahr zu erhöhen.“
Damit dürften sie dem local heroes-Team aus der Seele sprechen. Immerhin wünschte sich dieses mehr Musik von dieser „supertollen Band“. Darauf angesprochen, was „Die weiteren Aussichten“ wohl aus dem Finalist:innenfeld herausstechen lassen, antwortet Patrick: „Wir haben so eine ganz angenehme Mischung aus klassischem Indie-Rock gemischt mit einer Liebe für den humorvollen Umgang mit der deutschen Sprache. Wir sind, glaube ich, die einzige Band, in deren 30 Minuten Set man gleichzeitig aufrichtig weinen sowie lachen kann.“
Genau das ist auf Schloss Hundisburg eingetreten. Und noch mehr: „Wir haben mal gesagt bekommen, dass man nach einem Konzert das Gefühl hat, mit uns befreundet zu sein“, erzählt Patrick weiter. „Ich glaube, das ist ein schönes Bild. Mit guten Freunden kann man lachen, kann man tanzen und manchmal redet man um drei Uhr morgens auf einer Parkbank über den Tod, weint ein bisschen und merkt, wie schön das alles doch ist. So ein Freund wollen wir für die Leute sein.“
Rheinland-Pfalz tut was für seine Newcomer:innen
Dieses Ziel haben sie bei Deutschlands größtem und ältesten Non-Profit-Musikpreis, zu dem sie persönlich eingeladen wurden, definitiv erreicht. Wie und warum sie es bis ins Bundesfinale geschafft haben, ist ihnen allerdings selbst nicht so ganz klar, gesteht Patrick schmunzelnd. Immerhin gebe es „eine Menge anderer Bands, die es mindestens genauso verdient hätten, an unserer Stelle an local heroes teilzunehmen.“ Als Vertreter von Rheinland-Pfalz sei es aber ihr wichtigstes Ziel gewesen, „an der Bar des Bundesfinales die Weißweine mit der Kraft der mitgebrachten Sprudelflasche in Weinschorlen zu verwandeln“.
Und wie gestaltet sich dieses Unterfangen in ihrer Heimat? In Rheinland-Pfalz sei die Musikszene sehr gut aufgestellt, erzählt Patrick. Dort gebe es das pop-rlp (Kompetenzzentrum Popularmusik Rheinland-Pfalz). „Die haben mich schon unterstützt, als ich noch allein mit akustischer Gitarre und ohne Gagen auf die Bühne gegangen bin. Mittlerweile sind wir auch in ihre Masterclass aufgenommen worden.“ So eine breite Förderung, „von blutigen Newcomer:innen, zu nur noch mit Schürfwunden ausgestatteten Newcomer:innen“ suche man in vielen Bundesländern vergeblich. Außerdem habe das Bundesland viele mittelgroße Städte, die nicht von den ganz großen Bands überlaufen seien. Da komme man schnell an kleinere Gigs.
Doch es gebe noch viel zu tun, ist er überzeugt. „Ich habe manchmal das Gefühl, die Politik hat den Bereich ‚Newcomerförderung‘ fast komplett an die Industrie abgegeben“, sagt Patrick. „In den Medien finden kaum noch ‚Newcomer:innen‘ statt, weil das keine Reichweite bringt. Öffentliche Gelder werden Jahr für Jahr gekürzt.“ Kleine Veranstaltungsorte hätten es schwer. Interesse, solche Kulturbetriebe aufrechtzuerhalten, gäbe es von Seiten der Städte wenig. „So sterben die kleinen, unabhängigen Venues aus, Bands ziehen weg und zurück bleibt eine Stadt voller Wohnraum, aber ohne Leben.“
In vielerlei Hinsicht anders ist der Rahmen bei local heroes. „Wenn Musiker sein wie Fahrradfahren ist, dann war dieses Wochenende Fahrradfahren mit Stützrädern: Alle waren superfreundlich, es war super familiär, alle Positionen technischer Seite waren mit Profis besetzt, die vor allem menschlich super angenehm im Umgang waren“, so das Resümee des Singer-Songwriters.
„Man hatte genug Zeit für alles, es war aber auch gut strukturiert. Man hatte immer das Gefühl, jemand kümmert sich um einen. Das bereitet einen super darauf vor, wenn man eben nicht mehr mit Stützrädern den Karriereweg entlangfahren kann.“ sagt Sänger Jo.
Außerdem gebe es ein großes Netzwerk in ganz Deutschland, auf das man zurückgreifen könne, wenn man sich mal nicht sicher sei, welchen Weg man als nächstes einschlagen solle. Er und seine Band hätten auf jeden Fall viele tolle Kontakte geknüpft. So viele, dass sein „Handy fast keinen Speicher mehr“ habe. „Wir hoffen, wir konnten ein paar Freundschaften anfangen, die noch eine Weile halten werden.“
„Die weiteren Aussichten“ machen ihrem Namen alle Ehre. Denn schon in naher Zukunft geht es für sie weiter. Der Fokus soll in nächster Zeit auf dem Produzieren liegen. „Wir wollen erst mal unseren inzwischen ganz gut definierten Live-Sound in die Studio-Atmosphäre übertragen. Und sobald wir damit fertig sind: Live spielen, live spielen, live spielen“, erklärt Patrick. „Man muss realistisch sein“, sagt der Musiker.
„Mit dem ersten Song direkt den Fulltime-Job aufgeben, ist vermutlich nicht der beste Weg. Mir hilft es total, ein relativ klares Bild zu haben, wo ich mich und meine Musik sehe. Und ich weiß, dass es lange dauern wird, bis man das erreichen wird. Aber solange man sich darauf hin bewegt, ist alles gut. Daher: Einen Job finden, der die Miete zahlt, jede freie Minute in die Musik stecken und dann einfach mal zwei Jahre dranbleiben.“ Bis dahin hat er eigentlich zur zwei Bitten an die Musikbranche: „Bei der Auswahl eurer Support Acts vielleicht mal auf die Live-Performances achten und nicht die Followerzahl. Die kann man sich nämlich einfach so erkaufen. Und ansonsten das, was Kapelle Petra sagt: Keine Lieder für Böse Menschen.“
Was für eine außergewöhnliche „Insel“ local heroes ist, das weiß auch die Sängerin, Musicaldarstellerin und Schauspielerin Senta-Sofia Delliponti. Für sie war das local heroes-Bundesfinale 2024 „wunderschön und bewusstseinserweiternd“. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen habe sie „tolle Talente gesehen“. Als Jury vor Ort versuchten sie immer, supportive zu agieren, wirklich zu unterstützen und konstruktive Kritik zu geben, die die Artists weiterbringe. Mit diesem Prinzip blicken sie auch auf die große Preisverleihung der local heroes am 23. November.
Manche Acts haben den gewissen Drive
„In der Entscheidungsfindung betrachten wir die Acts individuell. Man kann und sollte sie gar nicht miteinander vergleichen.“ Musiker, Musikphysiologe und Songwriter Pablo Christlein stimmt ihrem Gesamteindruck zu: „Was für ein Glück hatten wir mit den Bands! Was für ein Glück haben wir immer mit der Crew. Es ist eine absolute Ehre und eine Riesenfreude hier zu sein.“ Das Bundesfinale sei einfach besonders. „Es ist eine irre Location. Es gibt unfassbar krasse ehrenamtliche Helfer. Man wird hier umsorgt und darf Musik anhören und machen.“
Musikjournalist Martin Hommel, der erstmals mit von der Partie war, scheint nun ebenfalls vom „local heroes-Virus“ infiziert. Die Zeit auf dem Schloss sei für ihn außergewöhnlich gewesen: „Obwohl wir uns natürlich im weitesten Sinne im Musikbusiness bewegen, fühlt sich das gar nicht an wie das eigentliche Musikbusiness, wie man es kennt.“ Alle seien viel freundlicher und offener. Er habe es als überaus positiv und inspirierend empfunden, dass es auch so sein könne. Und: „Dass man den jungen Künstler:innen im weitesten Sinne mitgeben kann, dass es so auch funktionieren kann.“
Gut ergangen ist es offenbar auch den beiden Coaches. „Es waren sehr unterschiedliche Stadien dabei, in denen die Finalist:innen sich befinden“, so der Eindruck von Coach Felix Mannherz. Der Schlagzeuger, Gitarrist und Sänger freute sich über die abwechslungsreiche Aufgabe. Manche der Acts berieten er und sein Kollege, der Sänger und Songwriter David Pfeffer, mit der Perspektive, auch beruflich Musik zu machen, andere mit dem Anspruch, das nur aus einer Leidenschaft heraus zu tun.
Er betont: „Die Strategie ist nicht für jede Band dieselbe.“ Die Problematiken, die sie den Musiker:innen aufzeigen, seien diesen oft schon bewusst, ergänzt David Pfeffer. „Häufig merken wir schon im Bundesfinale, welche Acts einen anderen Drive mitbringen.“ Genau diese seien es, die einige Jahre später auf einem höheren, professionellen Niveau zu sehen sein würden.
Wer holt den Publikumspreis?
Bereits am 23. November kommt es zum Wiedersehen zwischen Artists, Coaches, Jury und local heroes-Team bei der großen Preisverleihungsgala in der Viehbörse in Magdeburg. „Die Sieger:innen werden im Anschluss an die Preisverleihung medienwirksam verkündet“, erläutert local heroes-Geschäftsführerin Julia Sasse. „Sie erwarten Preise in Höhe von rund 10.000 Euro.“ Die Entscheidung obliegt, neben der Fachjury, auch dem Publikum, das parallel zur Online-Abstimmung aufgefordert werde und über einen eigenen Publikumspreis entscheide. Der Preis ist dotiert mit einem Gutschein über 500 Euro, gestiftet vom Musikhaus Thomann.
Jetzt bist du dran: Stimme für deinen Favoriten beim Online-Voting zum Publikumspreis.
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Text: Nicole Oppelt, Lina Burghausen
Fotos: Line Tsoj