Ein Schuss Melancholie, bitte! Mit „blue error“ hat Sachsen-Anhalt in diesem Jahr verträumten Indie Folk-Rock nach Schloss Hundisburg entsandt. Das Quartett begeisterte die Anwesenden mit seinen emotionalen Texten. Damit machten sie den ausgewählten Kreis von insgesamt elf Acts komplett, die ihre Musik auf Bundesebene von Deutschlands größtem Non Profit-Musikpreis präsentieren durften.
Den ausgiebigen Dreharbeiten, Aufnahmen und Workshops bei den Bundesfinaltagen im September folgt in diesem Jahr erstmals eine glanzvolle Preisverleihung am 23. November in der Viehbörse in Magdeburg. Im Rahmen dieser Gala wird nicht nur der „Beste Newcomer-Act Deutschlands 2024“ gekürt, sondern auch bekanntgegeben, wer in einer der anderen sechs local-heroes-Kategorien punkten konnte.
Diese Musiker sind innig miteinander verbunden. „Wir als Brüder machen schon lange gemeinsam Musik“, erzählt Jakob über sich und seinen Bruder Michel. Seit zwei Jahren wohnen sie auch zusammen und fanden in ihrer Wahlheimat Halle zu Lukas und Tjark. Die unterschiedlichen musikalischen Vorprägungen hätten sie schnell überwunden. Diese böten zudem immer die Chance, ein neues Feld zu eröffnen, indem man Elemente verschiedener Genre kombiniere, ergänzt Michel. Entstanden ist ein Sound, der das Publikum zum Träumen anregt.
Beim local heroes-Bundesfinale 2024 kam dieser ganz wunderbar an. „Sie lieben ihre Musik. Das hat man gesehen. Da steckt viel Liebe drin“, freute sich nicht nur die Jurorin Senta-Sofia Delliponti. Ihr Kollege Pablo Christlein ergänzt: „Man hat coole Bands rausgehört. Muse, Coldplay, Porcupine Tree: Das sind ja alles schöne, Sänger getragene, coole Sachen. Das hat mir sehr gefallen, vor allem stimmlich.“
Dass diese Vier derart gut harmonieren, ist eine echte Leistung. „Als Band in der Vierer-Konstellation haben wir erst drei Konzerte gemeinsam gespielt, daher ist der Erfahrungsschatz hier noch begrenzt“, gesteht Michel kurz nach dem Bundesfinale. „Es ist aber eine große Freude, endlich im Quartett spielen zu können und nicht den Grenzen, die das Musizieren zu zweit mit sich bringt, untergeben zu sein. Bisher waren unsere Live-Erfahrungen zu viert sehr schön, sowohl auf als auch hinter der Bühne.“
Selbstverständlich ist das nicht. Denn aktuell sei das Band-Dasein vor allem organisatorisch herausfordernd, meint Jakob. Tjark müsse nach seinem Umzug in die Niederlande extra für die Konzerte einen weiten Weg auf sich nehmen. Und das hat Folgen: Proben seien meist nur zu dritt möglich und Tjark erarbeite seine Schlagzeug-Parts allein. Doch Musik, das machen „blue error“ par excellence vor, überwindet Grenzen.
„blue error“ singen über unerfüllte Sehnsüchte
Im Bundesfinale verzauberten sie die Anwesenden vor allem mit wunderschön traurigen Songs. „Auch wenn wir nicht allein für die Melancholie stehen wollen, ist sie doch ein wichtiger Teil in unserer Musik“, sagt Michel, der den Stil der Band als „atmosphärische Indie-Musik“ beschreibt. Dieser, davon sind er und seine Bandkollegen überzeugt, spreche für sich, wenn man sie live erlebe. „Und wenn man sich dann noch auf die Musik einlässt, können wir hoffentlich irgendwas im Publikum bewegen.“ Ihre Musik habe häufig mit nicht erfüllten Sehnsüchten zu tun beziehungsweise mit dem Bestreben, diesen Wünschen auf irgendeine Art gerecht zu werden. „Dabei ist nicht gemeint, dass ich konkrete Geschichten aus meinem Leben erzähle“, sagt Michel.
„Das Ausstellen eigener Erlebnisse empfinde ich teilweise als unangenehm. Ich habe vielmehr den Anspruch, durch eher vage Texte eine Stimmung zu kreieren, mit der die Zuhörerinnen und Zuhörer sich möglicherweise identifizieren können, ohne dass sie dadurch mit mir mitfühlen müssen.“ Stattdessen ließen die Texte im besten Fall Interpretationsspielräume offen und brächten das Publikum dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und Jakob ergänzt: „Wir wollen, dass unsere Musik möglichst zeitlos ist und nicht nur einen Zeitgeist abbildet, der sich nach ein bis zwei Jahren wieder verändert hat.“
„blue error“ möchten vorankommen und sich neuen Herausforderungen stellen. Genau aus diesem Grund, verrät Jakob, hätten sie sich auch bei local heroes angemeldet. Sie seien neugierig darauf gewesen, sich einem neuen Publikum zu stellen und auch neue Künstler:innen kennenzulernen, die sich in einem ähnlichen Stadium wie sie selbst befänden. „Auch wenn Sachsen-Anhalt bzw. Halle für uns die Wahlheimat ist und wir ursprünglich aus verschiedenen Ecken Deutschlands kommen, freuen wir uns, das Land repräsentieren zu dürfen. Wir fühlen uns wohl hier und sind dankbar, für dieses kulturell vielfältige Land anzutreten.“
Bislang, sagt Michel, hätten sie in einigen Bars und anderen Veranstaltungszentren gespielt. Besonders gefreut habe sie, wenn ihnen kleine Bars trotz wenig finanzieller Möglichkeiten mit viel Hingabe ein Konzert ermöglicht hätten. „Da merkt man, dass ein Bedürfnis nach Kunst und Kultur immer da ist und wir uns glücklich schätzen können, dass es Veranstalter:innen und Ehrenamtliche gibt, die uns eine Bühne geben.“
Kunst und Kultur sind unverzichtbar
„Die größten Hürden finden sich für uns, und sicherlich auch andere, in der Vermarktung der eigenen Musik“, so Michel. Natürlich sei durch die digitale Entwicklung das System für Künstler:innen und Bands auch etwas demokratischer geworden, da der Zugang zu selbstständiger Musikproduktion und -veröffentlichung viel mehr Leuten ermöglicht werde. Das habe aber auch zur Folge, dass der Markt von einem enormen Angebot überspült werde, aus dem man sich erstmal hervorheben müsse.
„Das soll nicht klingen, als sei es früher so viel einfacher gewesen, eine größere Bekanntheit zu erlangen, jedoch hängen wir noch dem Ideal einer weniger schnelllebigen Musikindustrie nach. Wir wissen aber, dass das in der heutigen Zeit an Wunschdenken grenzt und auch wir uns neuen Wegen öffnen müssen.“ Auf der anderen Seite sollte sich, ihrer Ansicht nach, auch die handelnde Politik dafür stark machen, dass Kunst und Kultur ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft sei.
Bei local heroes fühlen sie sich – abseits ausgetretener Musikindustrie-Pfade – entsprechend gut aufgehoben: „Schon beim Landesfinale in Magdeburg hat uns die liebevolle Atmosphäre, die von allen Beteiligten kreiert wurde, gefallen“, sagt Jakob. „Wir hatten für alle Anliegen kompetente Anlaufstellen und es wurde sich mit Hingabe um uns und unsere Vorstellungen für unseren Auftritt gekümmert.“ Im Bundesfinale auf Schloss Hundisburg erreichte das Ganze nochmal eine höhere Stufe. „Auf Schloss Hundisburg lief alles sehr koordiniert ab, sodass wir uns völlig auf uns konzentrieren konnten.“
Außerdem sei die Atmosphäre unter allen Beteiligten sehr freundschaftlich gewesen, sodass sich jeder dort wohlgefühlt habe. Neu seien für sie die Dreharbeiten und die Möglichkeit gewesen, einen Song in dieser Qualität als Live-Session aufnehmen zu können. „Das war wirklich eine tolle Erfahrung. Auch aus den Coachings konnten wir wichtige Punkte für uns mitnehmen“, ergänzt Michel.
„Wir sind vor allem dankbar für das Material, das uns durch das Bundesfinale zur Verfügung stehen wird, inklusive professionell aufgenommener Performance und auch Bandfotos. Allein würden wir ein so hochwertiges Material nicht so einfach finanzieren können. Auch die Kontakte, die wir knüpfen konnten, werden uns sicherlich hier und da noch behilflich sein können“, betont Jakob.
Insgesamt, ergänzt Michel, habe sich durch verschiedene Rückmeldungen rund um das Finalwochenende ihr Wunsch nochmal verfestigt, in der Musikwelt Fuß zu fassen und ihre Reichweite zu vergrößern. „Wir haben an sich schon Vertrauen in unsere Musik und dass sie viele Menschen erreichen kann; der Weg, uns ein größeres Publikum zu erspielen, liegt jetzt aber noch vor uns.“
Nach dem Bundesfinale geht es für „blue error“ in die Planungen für den kommenden Sommer. Ihr großes Ziel, mehr Live-Erfahrungen sammeln und auch wieder Musik aufzunehmen. „Wir bemühen uns, Musik zu machen, die zugänglich und nicht zu nischig ist, ohne aber auf ein potenzielles Publikum hinzuschreiben“, erklärt Michel. „Die Musik kann wahrscheinlich nur gut sein, wenn man den eigenen Vorstellungen treu bleibt und sich nicht zu sehr von äußeren Faktoren leiten lässt; sonst würde es unglaubwürdig und uns sicherlich auch nicht mehr so viel Spaß machen.“
Genau diese freie Entfaltung fördert local heroes seit vielen Jahren. Für die Sängerin, Musicaldarstellerin und Schauspielerin Senta-Sofia Delliponti war das local heroes-Bundesfinale 2024 „wunderschön und bewusstseinserweiternd“. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen habe sie „tolle Talente gesehen“. Als Jury vor Ort versuchten sie immer, supportive zu agieren, wirklich zu unterstützen und konstruktive Kritik zu geben, die die Artists weiterbringe. Mit diesem Prinzip blicken sie auch auf die große Preisverleihung der local heroes am 23. November.
„In der Entscheidungsfindung betrachten wir die Acts individuell. Man kann und sollte sie gar nicht miteinander vergleichen.“ Musiker, Musikphysiologe und Songwriter Pablo Christlein stimmt ihrem Gesamteindruck zu: „Was für ein Glück hatten wir mit den Bands! Was für ein Glück haben wir immer mit der Crew. Es ist eine absolute Ehre und eine Riesenfreude hier zu sein.“ Das Bundesfinale sei einfach besonders.
„Es ist eine irre Location. Es gibt unfassbar krasse ehrenamtliche Helfer. Man wird hier umsorgt und darf Musik anhören und machen.“ meint Juror Pablo Christlein.
Musikjournalist Martin Hommel, der erstmals mit von der Partie war, scheint nun ebenfalls vom „local heroes-Virus“ infiziert. Die Zeit auf dem Schloss sei für ihn außergewöhnlich gewesen: „Obwohl wir uns natürlich im weitesten Sinne im Musikbusiness bewegen, fühlt sich das gar nicht an wie das eigentliche Musikbusiness, wie man es kennt.“ Alle seien viel freundlicher und offener. Er habe es als überaus positiv und inspirierend empfunden, dass es auch so sein könne. Und: „Dass man den jungen Künstler:innen im weitesten Sinne mitgeben kann, dass es so auch funktionieren kann.“
Gut ergangen ist es offenbar auch den beiden Coaches. „Es waren sehr unterschiedliche Stadien dabei, in denen die Finalist:innen sich befinden“, so der Eindruck von Coach Felix Mannherz. Der Schlagzeuger, Gitarrist und Sänger freute sich über die abwechslungsreiche Aufgabe. Manche der Acts berieten er und sein Kollege, der Sänger und Songwriter David Pfeffer, mit der Perspektive, auch beruflich Musik zu machen, andere mit dem Anspruch, das nur aus einer Leidenschaft heraus zu tun. Er betont: „Die Strategie ist nicht für jede Band dieselbe.“ Die Problematiken, die sie den Musiker:innen aufzeigen, seien diesen oft schon bewusst, ergänzt David Pfeffer. „Häufig merken wir schon im Bundesfinale, welche Acts einen anderen Drive mitbringen.“ Genau diese seien es, die einige Jahre später auf einem höheren, professionellen Niveau zu sehen sein würden.
Bereits am 23. November kommt es zum Wiedersehen zwischen Artists, Coaches, Jury und local heroes-Team bei der großen Preisverleihungsgala in der Viehbörse in Magdeburg. „Die Sieger:innen werden im Anschluss an die Preisverleihung medienwirksam verkündet“, erläutert local heroes-Geschäftsführerin Julia Sasse. „Sie erwarten Preise in Höhe von rund 10.000 Euro.“ Die Entscheidung obliegt, neben der Fachjury, auch dem Publikum, das parallel zur Online-Abstimmung aufgefordert werde und über einen eigenen Publikumspreis entscheide. Der Preis ist dotiert mit einem Gutschein über 500 Euro, gestiftet vom Musikhaus Thomann.
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Text: Nicole Oppelt, Lina Burghausen
Fotos: Line Tsoj, Martin Schöffel