Am vergangenen Samstag fand im Kulturhaus der Hansestadt Salzwedel das 20. Bundesfinale statt - The Muzzy Mystery aus Sachsen und DENMANTAU aus Hamburg holten sich die Titel, dicht gefolgt von der Band Van Briel aus Nordrhein-Westfalen




Rund 1600 Teilnehmer, knapp140 Veranstaltungen mit gut 111.000 Besuchern: Allein die Bilanz der zurückliegenden zwölf Monate kann sich sehen lassen. Zum 20. Mal hat Europas größter nicht-kommerzieller Newcomer-Wettbewerb local heroes  in diesem Jahr Deutschlands musikalischen Nachwuchs unter die Lupe genommen. Im Kulturhaus traten nun die 14 Landessieger mit Feuereifer an, um Jury und Publikum gleichermaßen für sich zu begeistern.

Zu einer gelungenen Geburtstagsfeier gehören stets mehrere Komponenten: Viele nette Gäste, gute Musik, ausreichend Getränke und natürlich tolle Geschenke. Manchmal bieten „runde“ Anlässe wie dieser aber auch Gelegenheit zum melancholisch angehauchten Rückblick. Nicht so im Kulturhaus! Wehmütige Gedanken an längst vergangene Tage suchte man bei Projektleiter Dieter Herker und seiner Crew vergebens. Ihr Augenmerk lag ganz auf dem Hier und Jetzt. Schließlich spielte sich in der achtstündigen Liveshow, die als Livestream mit Echtzeit-Kommentaren auf local-heroes.de sowie auf den sieben offenen Kanälen Sachsen-Anhalts zu sehen war, die musikalische Zukunft Deutschlands direkt vor ihren Augen ab.

Sanfter Deutsch-Pop trifft auf brachialen Death Metal

Und auch die übrigen Party-Zutaten stimmen: Engagiert wie nie hatten sich die teilnehmenden Bands schon lange vor dem Bundesfinale gezeigt. Über ihre Sozialen Netzwerke mobilisierten sie ihre Fans. Das Ergebnis: Ganze elf Fanbusse, ausgestattet mit Fan-Shirts, Fahnen, Maskottchen oder auch Wunderkerzen, reisten zur Unterstützung in die Hansestadt. So etwas, da war sich auch Dieter Herker sicher, gab es noch nie. Überhaupt hatte es die elfköpfige Jury, traditionell bestehend aus Experten der Medien- und Musikbranche, als auch die 1200 Besucher an diesem Abend mit einem ganz besonderen Jahrgang zu tun. Nicht nur ihr Einsatz für die gemeinsame Sache local heroes, da waren sich alle einig, sei herausragend gewesen. Auch die Qualität der Darbietungen vor ausverkauftem Haus war einem 20. Geburtstag mehr als würdig. Die jungen Leute beherrschten ihr Handwerk, hatten aber auch in Sachen Performance und Repertoire jede Menge Abwechslung zu bieten. Blanke Oberkörper wechselten mit waghalsigen Ausflügen in die Menge, softer Deutsch-Pop oder jazzige Nummern, die eine geradezu heimelige Atmosphäre versprühten wurden schon mal von brachialem Death Metal abgelöst.

Die jungen Bands sind mit viel Spaß, aber auch großen Ambitionen bei der Sache

„Metal-, Pop- und Jazz-Bands im gleichen Rahmen beurteilen und dann noch versuchen den persönlichen Geschmack auszublenden? Verdammt harter Job! Wir sind uns einig, dass wir nicht mit der Jury Jobs tauschen möchten“, meinten Luftpost aus Niedersachsen. Wie also solch verschiedene Welten vergleichbar machen? Bei local heroes hat man hierfür ein bewährtes Rezept: Entschieden wurde auch 2011 nach der 60:40-Methode. 60 Prozent Stimmgewicht fielen den Experten zu. 40 Prozent oblagen dem Publikum. Gemeinsam hatten sie gleich mehrere Auszeichnungen zu vergeben. Den Titel „Beste Newcomer-Band 2011“ konnte am Ende The Muzzy Mystery für sich verbuchen. Sie gingen als Gesamtsieger aus dem Wettbewerb hervor. Stolz können allerdings auch Denmantau sein. Die Formation schaffte es, die Fachleute vollends für sich zu begeistern. Sie erhielten den „Jurypreis“. Auch das Publikum lobte mit insgesamt 2400 Voting-Stimmen einen eigenen Titel aus. Hier setzten sich erneut The Muzzy Mystery durch. Gewonnen, das wurde Dieter Herker nicht müde zu betonen, haben sie jedoch alle.

Daniel Heerdmann, einer der Bandcoaches des Abends und Inhaber des Hamburger Labels Tiefdruck, der die Musiker unmittelbar nach ihren Auftritten beriet, fasst entsprechend zusammen:

„Die Bandauswahl ist tatsächlich wieder exquisit. Es gibt erneut fast keinen Ausfall. Was mir aufgefallen ist im Vergleich zu 2010: Es sind wieder wesentlich mehr Rockbands da. In den letzten Jahren gab es immer die Tendenz zu einer Musikrichtung, zum Beispiel elektronisch oder jazzig. Jetzt ist es sehr rockig“, so sein Eindruck.

Dennoch: local heroes solle so bleiben wie es sei, freut sich der Musikexperte über den runden Geburtstag. Den Bands rät er unterdessen, „Dinge bewusst zu tun“. Er ist überzeugt, dass das mehr als die „Hälfte der Miete“ sei. Sie sollten lernen, was sie tun. Immer wieder sei er erstaunt, wie wenig Musiker über das Musizieren wüssten. Nur mit dem entsprechenden Wissen hätten sie eine Chance, sich eine Karriere aufzubauen. Wichtig, so Heerdmann, sei auch die Formulierung eines konkreten Willens. Viele sei überhaupt nicht bewusst, was sie eigentlich erreichen wollen.

Insgesamt habe sich jedoch einiges in den vergangenen Jahren getan: Mit viel Freude und wohlwollendem Staunen hat Dieter Herker die Entwicklung der Musikszene beobachtet. Was noch Anfang der 90er Jahre für das Gros der Bands einzig ein willkommener Zeitvertreib war, würde heute von den meisten jungen Musikern weitaus ernsthafter und mit größeren Ambitionen betrieben.

„Damals wurde Musik mehr als nettes Hobby verstanden. Heute ist es ein Berufswunsch geworden und es lassen sich eine Menge Jobs und Berufe vom Musikmachen ableiten“, skizziert er die Entwicklung.

Das sehen auch die Jungs von „Black Tooth Scares“ so. Die „Gastgeber-Band“ aus Sachsen-Anhalt betont: „Wir haben alle den gleichen großen, naiven, aber doch irgendwie realistischen Traum. Jeder einzelne Musiker habe den im Blut. „local heroes bedeutet für uns die Chance die Weltherrschaft an uns zu reißen und das über einen legalen Weg“, scherzen sie nach der Bedeutung des Wettbewerbs für sie als Band gefragt. Ernster antworten sie: „In unseren kühnsten Träumen haben wir nicht gewagt, an den Einzug ins Bundesfinale zu denken. Schon der Sieg beim Regionalentscheid war für uns der Hammer! Dennoch haben wir es jetzt soweit geschafft. Und wir wissen auch, wem dafür der größte Dank gebührt: Unseren Black Tooth Maniacs! An dieser Stelle sei unseren Fans und Unterstützern einfach mal gesagt: Wir lieben Euch! Ohne diesen Support und diese Hingabe wären wir nicht so weit gekommen, dann wäre diese ganze local-heroes-Sache auch nicht zu etwas Besonderem geworden.“

„Hallo Deutschland, Hallo Leute. Hier sind wir. Wie findet Ihr unsere Musik?“

Der Contest sei zudem, so Black Tooth Scares weiter, eine tolle Möglichkeit für Newcomer Bands, das Spotlight auf sich zu ziehen. Es sei die einmalige Chance sich zu präsentieren, eine große Erfahrung zu machen, zu sagen: "Hallo Deutschland, Hallo Leute. Hier sind wir. Wie findet Ihr unsere Musik?" „Wir sind der Ansicht, dass wir dort hingehören. Egal, ob auf die kleinste Bühne im schäbigsten Club der Republik oder eben auf die großen local-heroes-Bühnen. Für uns ist es immer ein erhebendes Gefühl“, fassen sie im Vorfeld ihre Gedanken über und mit local heroes zusammen. Gelohnt hat sich das für das Quartett auf alle Fälle. Auch Luftpost aus Niedersachsen stimmen hier mit ein: „local heroes bietet kleinen deutschen Bands die Möglichkeit, sich zu zeigen. Es gibt viele großartige Bands, die nie über die Grenzen ihres Dorfes heraus kommen, um sich zu präsentieren. local heroes arbeitet dagegen an - 100% lobenswert!“

Solche Aussagen werden auch durch den eigens eingerichteten local heroes bandbool bestätigt. Die einzigartige Netzwerk-Möglichkeit wird von den teilnehmenden Bands hochgeschätzt und auch rege wahrgenommen. Wie das Ganze manchmal ausgehen kann, das zeigen Größen der aktuellen Musikszene wie „Tokio Hotel“ oder auch „Madsen“, die sich ihre ersten Sporen einst ebenfalls bei local heroes verdingt haben.

Jetzt ist es also „erspielt“, das 20. Bundesfinale, das als kleine Reminiszenz an die Vereinshistorie wieder an die Wurzeln des Schaffens nach Salzwedel verlegt und eigens mit einem kleinen „Warmup“ am Freitagabend eingeläutet wurde. Am Morgen nach dem Mega-Konzert im Kulturhaus richten sich die Blicke nun schon wieder nach vorne: „Black-Tooth-Scares-Schuster bleiben bei ihren Leisten und genießen den Moment. Hey, wir standen im Finale des größten und renommiertesten Bandcontests der Republik. Das ist Fakt. Das nimmt uns keiner mehr weg. Was danach kommt, besprechen wir dann. Versprochen“, schmunzeln die Herren aus Sachsen-Anhalt. Zum 20. wünschen sie dem Verein nur das Allerbeste:

„Es ist, ohne mit der Wimper zu zucken, einfach eine Riesenleistung, das alles 20 Jahre durchzuziehen. Idealisten braucht das Land. Seht her, so kann's gehen. Genau so bringt man tausende junge Menschen zusammen an einen Tisch. Gemeinsam für eine gute Sache. Die Musik. Hier wird Zukunft gemacht. Das ist einfach eine gnadenlos geile Sache.“

Ab 2012 ist auch die Schweiz mit an Bord der local heroes-Familie

Sicher ist: local heroes bleibt auch nach insgesamt rund 20.000 Shows in den letzten 20 Jahren nicht stehen. „Nach dem ersten EU-Finale im letzten Jahr in Ungarn planen wir für 2012 Wien und 2013 Magdeburg als EU-Austragungsorte“, bringt Dieter Herker die weiteren Ambitionen auf den Punkt. In diesem Jahr hätten bereits Österreich, Ungarn und erstmalig auch Rumänien einen local heroes Wettbewerb durchgeführt. Im kommenden Jahr werde auch die Schweiz am local heroes Contest teilnehmen. Doch ganz gleich, ob im großen oder im kleinen Rahmen. Nach wie vor gilt: Ihr spielt die Musik!

Die Teilnehmer des Wettbewerbes im Überblick

Black Tooth Scares, Sachsen-Anhalt

RAMAZE, Brandenburg

Panacea Experience, Schleswig-Holstein

Tinsel-Tongues, Bremen

Luftpost, Niedersachsen

Effacement of a Witch, Nordrhein-Westfalen

The Muzzy Mystery, Sachsen

Minitimer Katzenposter, Mecklenburg-Vorpommern

Crunch, Berlin

Denmantau, Hamburg

Infight, Baden-Württemberg

Monoshoque, Rheinland-Pfalz

Empty Guns, zogen ins Finale ein über eine Greencard

Van Briel, zogen ins Finale ein über eine Greencard



Alle Preisträger des Wettbewerbs im Überblick

1. Bester Sänger: Paul Weber (Denmantau)
Preis: 500 Euro Gutschein Musikhaus Thomann

2. Bester Instrumentalist: Till Bill (Panacea Experience)
Preis: 500 Euro Gutschein Musikhaus Thomann

3. Dritter Platz Gesamt: Van Briel
Preis: weltweite digitale Single-Veröffentlichung (Recordjet)

4. Zweiter Platz Gesamt: Denmantau
Preis: weltweite digitale Album-Veröffentlichung (Recordjet)

5. Jury-Sieger: Denmantau
Preis: Booking-Vertrag (Rodeostar Concerts), Roland-Keyboard, „Clubplaner“ Booking Artist Edition,

6. Publikums-Sieger: The Muzzy Mystery
Preis: ein Wochenende Tourbus (Deutsche Rockmusik Stiftung), Gibson Gitarre, ein Slot bei Rock im Stadtpark Magedeburg, „Clubplaner“ Booking Artist Edition

7. Beste Newcomerband des Jahres (Gesamtsieger): The Muzzy Mystery
Preis: Slot auf der YOU Jugendmesse Berlin 2012, eine Songproduktion unterstützt vom Kultursministerium Sachsen-Anhalt sowie ein Zuschuss von der Stadt Salzwedel, Single- und Album-Veröffentlichung plus „Passenger of the month“ samt Grundpromotion (Recordjet)

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Gesamtsieger + Publikums-Sieger The Muzzy Mystery:

Um kurz vor drei Uhr am Sonntagmorgen, den 6. November, war es endlich soweit: Moderator Jesko Döring bat noch einmal alle teilnehmenden Bands auf die Bühne. Als The Muzzy Mystery dann gleich zwei Mal nach vorne treten dürfen, können diese ihren Augen und Ohren nicht trauen. Die Sachsen haben beim 20. Bundesfinale gleich doppelt abgesahnt. Die Freude der Crew rund um Sängerin Franziska war grenzenlos. Ihre mitgereisten Fans honorierten den Erfolg mit tosendem Applaus.

Jury-Sieger Denmantau:

Nicht nur die beeindruckende Show rund um Frontmann Paul Weber, der sowohl als Sänger als auch an der Trompete zu überzeugen wusste, blieb nachhaltig im Gedächtnis der Jury haften. Auch ihre außergewöhnlichen Aktivitäten abseits des Kulturhauses, die in persönlichen Gesprächen zu Tage tragen, konnten punkten. Immerhin hatten sich die Herren bereits erfolgreich als Straßenmusiker in Australien und Neuseeland verdingt. Es bleibt also spannend, wohin die Reise dieser Fünferbande als nächstes gehen wird.

Dritter Platz Van Briel:

Haben wir hier bereits eine Band der künftigen Siegergilde vor uns? Nicht wenige im Publikum dürften sich das schon während der ersten Klänge von Van Briel gefragt haben. Lewk Downrida (Vocals), Alexander von Nazareth (Bass), Phine Licht (Beats), Toto Azicer (Synthesizer), Kjell van Hell (Gitarre) und Isa la Curz (Gitarre) powerten sich in Salzwedel aus wie kaum eine Formation in diesem 20. Jahrgang. Das Handicap von Sänger Lewk, der an Krücken gefesselt, seinen Auftritt nur im Sitzen absolvieren konnte, tat der schaurig-schönen Szenerie keinen Abbruch. Die komplette Band, die ihre Greencard in Berlin auf der Jugendmesse You erspielt hatte, fällt auf. Jeder für sich ist eine unverwechselbare Persönlichkeit, die sich unweigerlich ins Gedächtnis bohrt. Das Publikum feiert sie frenetisch. Absolut zu Recht!