Mit „Radio Hoppegarten“ hat das Bundesland Brandenburg in diesem Jahr drei Ausnahme-Musiker nach Schloss Hundisburg entsandt. Das Trio eroberte die Herzen aller Beteiligten im rasenden Galopp. Damit machten sie den ausgewählten Kreis von insgesamt elf Acts komplett, die ihre Musik auf Bundesebene von Deutschlands größtem Non Profit-Musikpreis präsentieren.
Den ausgiebigen Workshops und Dreharbeiten im September folgt in diesem Jahr erstmals eine glanzvolle Preisverleihung am 23. November in der Viehbörse in Magdeburg. Im Rahmen dieser Gala wird nicht nur der „Beste Newcomer-Act Deutschlands 2024“ gekürt, sondern auch bekanntgegeben, wer in einer der anderen sechs Kategorien punkten konnte.
Genaues Zuhören erwünscht!
„Der Tank voll Hafer und die Herzen voll Feuer“, ist eine viel zitierte und ziemlich treffende Beschreibung der Band „Radio Hoppegarten“. Seit Anfang 2023 sind die Drei „auf Sendung und übertragen positive Signale vom östlichen Berliner Stadtrand an die Welt“. Tito, Jonas und Sebastian kommen textlich einfühlsam, intensiv, ironisch, aber auch mal todernst daher. Ihre Musik ist funky, sanft berührend und galoppiert zuweilen wild in unbekanntes Terrain. Zuletzt verschlug es die Band auf Schloss Hundisburg in die Nähe von Magdeburg zu den local heroes-Bundesfinaltagen 2024. Auf dem Programm standen eine Live-Session, Interviews, ein Foto-Shooting, Coachings und vieles mehr.
„Sie sind alle mega abgezockt. Sie wissen genau, was sie tun“, rekapituliert der Juror Pablo Christlein die Live-Session des Trios. Für den Musiker, Musikphysiologen und Songwriter sind „Radio Hoppegarten“ schon eine „richtige Profiband“. „Die Spielfreude untereinander ist total ansteckend“, untermauert seine Jury-Kollegin Senta-Sofia Delliponti. Und auch der diesjährige Jury-Neuling, Musikjournalist Martin Hommel, zeigt sich begeistert: „Man merkt, dass sie das schon eine Weile machen.“ Insbesondere die Texte der Band sowie die Moderationen von Frontmann Tito hatten es der Expert:innenrunde angetan. Kein Wunder, dass Senta-Sofia Delliponti einen eindringlichen Appell an diese Newcomer richtet: „Schreibt bitte ein Buch oder ein Gedichtband!“
Ob „Radio Hoppegarten“ das auf dem sprichwörtlichen Zettel hat, ist unklar. Deutlich konkreter ist ihre Idee von einem erfolgreichen und nachhaltigen Musikprojekt. Es geht um „eine gemeinsame Vision und eine gute Mischung aus Offenheit und Zielstrebigkeit“, sagt Keyboarder Jonas und Schlagzeuger Sebastian ergänzt: „Wir sorgen in erster Linie durch Spaß und körperliche Bewegung für unseren inneren Zusammenhalt.“ Frontmann Tito ist jedenfalls optimistisch: „Mir gefällt es uns dabei zuzusehen, wie wir uns bereits in den anderthalb Jahren unserer Existenz als Band entwickelt haben. Das macht Lust auf einen langen gemeinsamen Weg! Ich sehe uns schon als alte Säcke auf toskanischen Verandas jammen.“
In der Tat haben „Radio Hoppegarten“ mächtig Gas gegeben. Noch keine zwei Jahre machen sie miteinander Musik. Seither ging alles ganz schnell – immerhin, via glücklichem Zufall, bis ins local heroes-Bundesfinale. „Getroffen haben wir uns letztes Jahr in der Schnittstelle zwischen Pferderennsport und Popularmusik. Wir haben sofort verstanden, dass wir miteinander eine Band gründen müssen. Und wir sind froh, es dann auch getan zu haben“, erzählt Jonas schmunzelnd.
Hommage an große deutsche Songwriter
Denn da gab es Auftritte, die zunächst nicht nach viel Publikum aussahen und sich plötzlich ins volle Gegenteil verkehrten. Sie erlebten Bühnenpannen, die souverän gemeistert wurden und erhielten Rückmeldungen, mit denen sie kaum gerechnet hätten. „Wundervoll war unter anderem, dass nach dem local heroes-Landesfinale in Potsdam zwei sehr junge, punkige Menschen zu uns gesagt haben ‚ist überhaupt nicht unsere Musik, aber war total geil‘ und zwei Damen Mitte 50 meinten ‚tolle Texte habt ihr! Sie erinnern uns total an Reinhard May‘“, erzählt Tito.
Diese Texte, aber auch die von starken Melodien geprägten Songs, könnten nach Ansicht von Jonas Alleinstellungsmerkmale im Feld der Bundesfinalist:innen sein. „Wenn wir gut abgemischt werden, haben wir einen warmen und transparenten Sound, der sowohl atmosphärisch wirkt als auch funky sein kann“, ergänzt Tito.
„Alles, was wir bisher gemacht haben, lässt sich unter Pop zusammenfassen. Wir setzen uns aber stilistisch keine Grenzen.“
Einige Aspekte, die wahrscheinlich alle Anwesenden auf Schloss Hundisburg sofort bemerkt haben, beschreibt jedoch Sebastian: „Wir erdrücken unser Publikum nicht mit Lautstärke. In unserer Musik ist es ähnlich wie im Pferdesport. Wir decken alle Gangarten ab: vom Schritt über Trab bis zum gestreckten Galopp.“ So ist auch ihre Musik als Gesamtkunstwerk zu verstehen. „Sie ist ein Plädoyer für Vielfalt, insbesondere innere Vielfalt“, erklärt Tito. „Wir können als Menschen die Realität in verschiedenen Modi begreifen und uns mit ihr auseinandersetzen. Wir versuchen, einen Teil dieser enormen Vielfalt abzubilden und setzen uns dabei für Offenheit und Toleranz ein.“
Und wie steht es darum in ihrer eigenen Heimat? Im Vergleich zu Berlin würden sie in der Brandenburger Musikszene etwas mehr Herzlichkeit, Neugier und Begeisterung erleben, erzählen sie. Kritisch beobachten sie jedoch, dass viele junge Bands, nicht nur in ihrer direkten Umgebung, ihren Erfolg etwa in Likes auf Instagram messen, obwohl ihrer Ansicht nach Kunst aus einem gewissen Nichtsnutz und einer großartigen Ziellosigkeit entstehen könne.
„Man sollte sich in sein Kerngeschäft, wie Texte, Musik und Performance, vertiefen, um etwas Einzigartiges und Geiles zu kreieren. Wenn es geil genug ist, wird es irgendwann die Menschen erreichen“, ist Tito überzeugt. Und Jonas ergänzt: „Ich habe den Eindruck, dass eine ‚Umsonst-Kultur‘ entstanden ist und viele Menschen erwarten, dass sie Musik und Kultur für wenig oder gar kein Geld bekommen können.“
Mit local heroes auf die „Gewinnerstraße“
Mit local heroes befänden sie sich aber auf der „Gewinnerstraße“. „Wir haben als Musiker noch nie so viel professionelle Zuwendung erfahren und genießen jeden Augenblick“, erklärt Tito. Stellenweise sei es auch ein bisschen aufregend gewesen. „Ich nehme einige extrem brauchbare Anregungen aus den Gesprächen mit den Juroren und Coaches mit, zum Beispiel dass es gut sein kann, Songs an einem Tag anzufangen und fertig zu schreiben. Manchmal passiert mir das von allein, aber ich werde mir das in Zukunft öfter vornehmen.“
Auch sein Bandkollege Sebastian ist begeistert von den auf Schloss Hundisburg gesammelten Erfahrungen. „Wir sind geflasht von der Qualität und der stilistischen Vielfalt der anderen Bands und Künstler:innen. Und die Leute hier waren wirklich alle sehr nett, kompetent und wertschätzend.“ Jonas greift einen weiteren, wichtigen Aspekt auf: „Wir wurden durch die Interviews dazu angeregt, uns darüber Gedanken zu machen, wo und für was wir als Band stehen. Das finde ich cool, weil ich vieles davon vorher gar nicht gewusst habe.“
Für die nächste Zeit haben sich die Drei erst einmal die Arbeit an ihrer ersten EP vorgenommen. „Wir hoffen, dass der große Durchbruch nun nur noch eine Frage der Zeit ist“, lacht Tito. „Und wir hoffen, dass wir uns nicht allzu sehr erschrecken, wenn es passiert. Denn ein großer Durchbruch geschieht meist in einem unerwarteten Augenblick. Wir sind auch gespannt, was dann als erstes durchbricht.“
Neugierig dürften auch ihre professionellen Begleiter:innen in die Zukunft blicken. Denn: Für die Sängerin, Musicaldarstellerin, Schauspielerin und Jurorin Senta-Sofia Delliponti waren die local heroes-Bundesfinaltage 2024 „wunderschön und bewusstseinserweiternd“. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen habe sie „tolle Talente gesehen“. Als Jury versuchten sie, supportive zu agieren, wirklich zu unterstützen und konstruktive Kritik zu geben, die die Musiker:innen weiterbringe. Dieses Prinzip beachten sie auch mit Blick auf die Preisverleihung am 23. November.
local heroes-Bundesfinale: Was für tolle Talente
„In der Entscheidungsfindung betrachten wir die Acts individuell. Man kann und sollte sie gar nicht miteinander vergleichen.“ Musiker, Musikphysiologe und Songwriter Pablo Christlein stimmt ihrem Gesamteindruck zu: „Was für ein Glück hatten wir mit den Bands! Was für ein Glück haben wir immer mit der Crew. Es ist eine absolute Ehre und eine Riesenfreude hier zu sein.“ Das Bundesfinale sei einfach besonders. „Es ist eine irre Location. Es gibt unfassbar krasse ehrenamtliche Helfer. Man wird hier umsorgt und darf Musik anhören und machen.“
Musikjournalist Martin Hommel, der erstmals mit von der Partie war, scheint nun ebenfalls vom „local heroes-Virus“ infiziert. Die Zeit auf Schloss Hundisburg sei für ihn eine außergewöhnliche gewesen: „Obwohl wir uns natürlich im weitesten Sinne im Musikbusiness bewegen, fühlt sich das gar nicht an wie das eigentliche Musikbusiness, wie man es kennt.“ Alle seien viel freundlicher und offener. Er habe es als überaus positiv und inspirierend empfunden, dass es auch so sein könne. Und: „Dass man den jungen Künstler:innen im weitesten Sinne mitgeben kann, dass es so auch funktionieren kann.“
Gut ergangen ist es offenbar auch den beiden Coaches. „Es waren sehr unterschiedliche Stadien dabei, in denen die Finalist:innen sich befinden“, so der Eindruck von Coach Felix Mannherz. Der Schlagzeuger, Gitarrist und Sänger freute sich über die abwechslungsreiche Aufgabe. Manche der Acts berieten er und sein Kollege, der Sänger und Songwriter David Pfeffer, mit der Perspektive, auch beruflich Musik zu machen, andere mit dem Anspruch, das nur aus einer Leidenschaft heraus zu tun.
Er betont: „Die Strategie ist nicht für jede Band dieselbe.“ Die Problematiken, die sie ihnen aufzeigen, seien ihnen häufig schon bewusst, ergänzt David Pfeffer. „Häufig merken wir schon im Bundesfinale, welche Acts einen anderen Drive mitbringen.“ Genau diese seien es, die einige Jahre später auf einem höheren, professionellen Niveau zu sehen sein würden.
Bereits am 23. November kommt es zum Wiedersehen zwischen Artists, Coaches, Jury und local heroes-Team bei der großen Preisverleihungsgala in der Viehbörse in Magdeburg. „Die Sieger:innen werden im Anschluss an die Preisverleihung medienwirksam verkündet“, erläutert local heroes-Geschäftsführerin Julia Sasse. „Sie erwarten Preise in Höhe von rund 10.000 Euro.“ Die Entscheidung obliegt, neben der Fachjury, auch dem Publikum, das parallel zur Online-Abstimmung aufgefordert werde und über einen eigenen Publikumspreis entscheide. Dieser ist dotiert mit einem Gutschein über 500 Euro, gestiftet vom Musikhaus Thomann.
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Text: Nicole Oppelt, Lina Burghausen
Fotos: Line Tsoj